Ähnlich wie andere Bereiche der Musiktheorie, kann auch der Generalbass anfangs eine Herausforderung darstellen. Wie zeigen Ihnen die Regeln, mit denen Sie den Generalbass lesen und notieren können. Im Unterschied zur Funktionstheorie zeichnet sich der Generalbass durch seine Klarheit aus und stellt ein wertvolles Instrumentarium für die Analyse harmonischer Zusammenhänge in der Musik dar. Von einfachen Übungen bis hin zu komplexen Werken von Johann Sebastian Bach bietet der Generalbass einen Schlüssel zum tieferen Verständnis musikalischer Strukturen.

Generalbass: Neue Sicht auf Musik

Im Generalbass notieren Sie eine Basslinie und versehen diese mit Zahlen. Diese Bezifferung dient als Grundlage für die Realisierung von Akkorden. Ähnlich wie moderne Akkordsymbole, die heute Gitarrist’innen oder Jazzmusiker’innen als harmonische Richtlinie dienen, fungierte der Generalbass im 17. Jahrhundert als praktische Begleitfunktion, insbesondere für Tasteninstrumente und Lauten. Er ermöglicht es den Musiker’innen, auf Basis der notierten Basslinie und der Bezifferung eine improvisierte, harmonisch fundierte Begleitung zu gestalten.

Verständnis mit Zweiergruppen-Methode

Um das Prinzip des Generalbasses einfach zu erklären, analysieren wir Akkorde, indem wir sie vom notierten Basston ausgehend in Zweiergruppen betrachten:

  • 1. und 2. Stufe: Der Grundton und die Sekunde
  • 3. und 4. Stufe: Die Terz und die Quarte
  • 5. und 6. Stufe: Die Quinte und die Sexte
  • 7. und 8. Stufe: Die Septime und die Oktave

Diese Betrachtungsweise macht das Verständnis von Generalbass einfacher und konsistenter.

Ausgesetzte Akkorde mit Akkordsymbolen und Generalbassbezeichnungen einfach erklärt und dargestellt.

Abbildung 1: Vergleich moderne Akkordbezeichnungen und Generalbass. Hinweis: Im Generalbass werden nur die eingekreisten Töne mit den hervorgehobenen Zahlen notiert. / Dawidzinski (2025)

Einfache Regeln des Generalbass

Im Generalbass gelten folgende einheitliche Regeln:

  1. Ohne Bezifferung: Spiele die Töne 1, 3, 5 (und 8) über dem Basston.
  2. Mit Zahl:
    • Bei einer 4: Ersetze die 3 durch eine 4.
    • Bei einer 6: Ersetze die 5 durch eine 6.
    • Bei einer 7: Ersetze die 8 durch eine 7.
  3. Vorzeichen:
    • Ein # (Kreuz) oder (Be) ohne Zahl bezieht sich auf die 3 (erhöhe oder erniedrige die Terz).
    • Mit Zahl: Ein # oder vor einer Zahl bezieht sich auf genau diese Stufe (erhöhe oder erniedrige diese Stufe).
  4. Tonart beachten: Gehen Sie immer von den leitereigenen Tönen der aktuellen Tonart aus (die Vorzeichen am Anfang der Zeile bzw. des Taktes).

Diese klaren Regeln in Kombination mit der Zweiergruppen-Methode bilden das Fundament für das Verständnis und die Anwendung des Generalbasses.

Generalbass vs. Funktionstheorie

Die Betrachtungsweise des Generalbasses unterscheidet sich fundamental von der Funktionstheorie oder modernen Harmoniebetrachtungsweisen. Während beide Systeme dazu dienen, Akkorde zu beschreiben, tun sie dies aus unterschiedlichen Perspektiven. Die Abbildung 1 hilft den Generalbass einfach zu erklären.

Nehmen wir zunächst die verschiedenen Umkehrungen des F-Dur-Akkords (F, F/C, F/A) als Beispiel:

  • Funktionstheorie/Moderne Harmonie: Hier werden F-Dur in Grundstellung, F-Dur mit C im Bass (F/C) und F-Dur mit A im Bass (F/A) als derselbe Akkord betrachtet: ein F-Dur-Dreiklang. Die Umkehrung ändert nichts an der grundlegenden harmonischen Funktion des Akkords.
  • Generalbass: Im Generalbass werden diese Umkehrungen als unterschiedliche Akkordstrukturen betrachtet, da sie unterschiedliche Bezifferungen über dem jeweiligen Basston erfordern:
    • F (ohne Bezifferung): Grundakkord (1-3-5)
    • C mit 4 6: F-Dur in zweiter Umkehrung (Quartsextakkord), da über dem C eine Quarte (F) und eine Sexte (A) liegen.
    • A mit 6: F-Dur in erster Umkehrung (Sextakkord), da über dem A eine Sexte (F) liegt.

Nun betrachten wir die Akkorde C-Dur, F/C und Am/C:

  • Funktionstheorie/Moderne Harmonie: Hier werden C-Dur, F/C (F-Dur Akkord mit C im Bass) und Am/C (A-Moll Akkord mit C im Bass) als unterschiedliche Akkorde mit jeweils eigener harmonischer Funktion betrachtet. Der Fokus liegt auf der Akkordqualität und ihrer Rolle im harmonischen Kontext.
  • Generalbass: Im Generalbass haben diese Akkorde alle den Basston C gemeinsam. Die Unterschiede ergeben sich durch die Bezifferung, die angibt, welche Intervalle über dem Basston gespielt werden sollen:
    • C (ohne Bezifferung): Grundakkord (1-3-5) – in diesem Fall C-Dur
    • C mit 4 6: C-Quartsextakkord
    • C mit 6: C-Sextakkord

Zusammenfassend lässt sich sagen: Der Generalbass konzentriert sich auf die Intervalle über dem notierten Basston, während die Funktionstheorie/Moderne Harmonie die Akkordqualität und ihre harmonische Funktion in den Vordergrund stellt. Im ersten Beispiel (F-Dur Umkehrungen) betont die Funktionstheorie die Einheitlichkeit des Akkords, während der Generalbass die unterschiedlichen Strukturen hervorhebt. Im zweiten Beispiel (Akkorde mit C im Bass) betont die Funktionstheorie die Unterschiede in der Akkordqualität, während der Generalbass die gemeinsame Basis im Basston C hervorhebt.

Generalbass-Regeln: Erweiterungen

Nachdem wir die grundlegenden Regeln des Generalbasses kennengelernt haben, wollen wir uns nun einigen speziellen Akkorden und Zeichen zuwenden, die in der Generalbasspraxis vorkommen und eine Erweiterung der bisherigen Regeln darstellen.

Unterschiedliche Quintsext- und Terzquartakkorde, sowohl mit moderner Akkordbezeichnung als auch als Generalbass einfach erklärt.

Abbildung 2: Erweiterungen. Hinweis: Im Generalbass werden nur die eingekreisten Töne mit den hervorgehobenen Zahlen notiert. / Dawidzinski (2025)

In den Grundregeln haben wir gelernt, dass eine Zahl eine andere ersetzt. Bei einigen speziellen Akkorden werden jedoch mehrere Intervalle gleichzeitig über dem Basston gespielt, was eine Erweiterung unserer Grundregeln darstellt (siehe Abbildung 2).

Der Quintsextakkord

Bei dem Quintsextakkord (5 6) werden sowohl die Quinte als auch die Sexte gleichzeitig über dem Basston gespielt. In der Generalbassnotation wird dies als 5 6 notiert. Die Terz (3) ist ebenfalls enthalten, wird aber nicht extra notiert, da sie als Standard gilt (siehe Grundregeln). In der Grundtonart C-Dur, also ohne Vorzeichen, können wir zwei häufige Beispiele betrachten: einen Akkord mit dem Basston F und den Tönen F-A-C-D, sowie einen mit dem Basston H und den Tönen H-D-F-G. Beachtenswert ist, dass die gleiche Bezifferung 5 6 auf diesen verschiedenen Basstönen zu unterschiedlichen Klangwirkungen führt. Dies unterstreicht den Kontrast zur Funktionstheorie.

Der Terzquartakkord

Bei dem Terzquartakkord (3 4) werden sowohl die Terz als auch die Quarte gleichzeitig über dem Basston gespielt. Ob große oder kleine Terz hängt ausschließlich von den leitereigenen Tönen der Grundtonart ab und nicht der Generalbassbezifferung, außer sie soll beabsichtigt davon abweichen. In der Generalbassnotation wird der Terzquartakkord als 3 4 notiert. In der Grundtonart C-Dur können wir ein verbreitetes Beispiel mit dem Basston D betrachten, wobei die Töne von unten nach oben D-F-G-H wären.

Beachten Sie, dass in den meisten Fällen hier die 5 mit der 6 ersetzt wird. Um die Konsistenz zu wahren, können Sie von folgender Regel ausgehen: Wenn im Akkord eine Reibung (hier: große Sekunde) enthalten ist, wird ab dem oberen Ton dieser beiden Töne die fehlende(n) Terz(en) aufgebaut. Das wäre hier die 6 anstelle der 5 vom Basston aus betrachtet. Ansonsten hätten wir die Töne der Stufen 3, 4 und 5 und damit drei nebeneinander liegenden Töne. Wichtig: Dieser Akkord ist nicht mit einem 4-3-Vorhalt zu verwechseln, bei dem zwei aufeinanderfolgende Akkorde notiert würden: zuerst 4, dann ohne Bezifferung (also 3).

Der Sekundakkord

Hier werden die Sekunde, Quarte und Sexte gleichzeitig über dem Basston gespielt. Er wird entweder als 2 oder 2 4 notiert. In der Grundtonart C-Dur könnte dies z.B. ein F-G-H-D sein. Da dieser Akkord ebenfalls meistens aus funktionstheoretischer Sicht „dominantisch“ eingesetzt wird, gilt hier ähnliches wie in den vorigen Beispielen: Die höheren Töne der Zweiergruppe werden auch gespielt, wenn dies nicht notiert ist.

Bezifferung und Harmoniefreiheit

Wie wir gesehen haben, unterscheidet sich der Generalbass grundlegend von der Funktionstheorie. Aber was macht ihn so wertvoll, besonders in einer Zeit, in der die Funktionstheorie und moderne Harmoniebetrachtungen dominieren? Im Gegensatz zur Funktionstheorie bietet der Generalbass:

  • Einheitlichere Regeln und interpretatorische Freiheit: Obwohl die Grundstruktur des Generalbasses durch einheitliche Regeln definiert ist, lässt er dennoch Raum für unterschiedliche Auslegungen und Realisierungen. Ähnlich wie Jazzmusiker’innen heute Akkordsymbole interpretieren oder Gitarrist’innen Lagerfeuerlieder begleiten, bietet der Generalbass eine Grundlage für freie Improvisation und individuelle Gestaltung der Harmonie.
  • Weniger starre Kategorisierung: Der Generalbass legt den Fokus auf die unmittelbare Klangwirkung jedes einzelnen Akkords, wobei die Analyse primär auf den Intervallen über dem Basston basiert. Eine Einordnung in vorgegebene funktionale Kategorien tritt zunächst in den Hintergrund.
  • Unabhängige Betrachtung jedes Akkords: Die eigentliche Stärke des Generalbasses liegt in seiner schlichten und systematischen Herangehensweise. Wir betrachten jeden Akkord unabhängig vom harmonischen Kontext, allein basierend auf den Intervallen über dem Basston. Dazu zählen wir, welche Stufen der Tonleiter – in der jeweiligen Grundtonart – über dem Basston liegen. Dabei ist egal, ob der resultierende Akkord Dur oder Moll ist. Auch seine funktionstheoretische Rolle ist nicht wichtig. So notieren wir beispielsweise das Hinzufügen einer 6. (Sexte) einfach, unabhängig davon, ob wir den Akkord klanglich als „spannungsreich“ oder „auflösend“ wahrnehmen. Diese Reduktion auf die Intervalle macht den Generalbass zu einem klaren und universellen System, das die unmittelbare Klangwirkung in den Fokus rückt, ohne von theoretischen Kategorien beeinflusst zu sein.
  • Erweiterte Analysemöglichkeiten für modale Musik: Der Generalbass erweist sich als besonders wertvoll bei der Analyse von Musik, die sich nicht primär an Dur-Moll-Tonalität orientiert. Insbesondere die Kirchentonarten (Modi) lassen sich mithilfe des Generalbasses differenzierter analysieren. Er beschreibt die Intervallverhältnisse über die traditionellen tonalen Funktionen hinaus.

Generalbass in der Musikanalyse

Nachdem Sie sich mit dem Generalbass, einfach erklärt, auseinandergesetzt haben, erschließt sich seine Bedeutung. Er ist nicht nur ein Relikt vergangener Epochen, sondern ein lebendiges Werkzeug zur Analyse und Gestaltung von Musik. Er bietet eine alternative Perspektive auf Harmonien, die dazu einlädt, über traditionelle Schemata hinauszudenken. Ob für das eigene Komponieren, für die Analyse von Musik oder einfach nur, um ein besseres Gefühl für Harmonien zu entwickeln – der Generalbass ist eine Bereicherung für Musiker’innen, die die Freiheit schätzen, Akkorde individuell zu gestalten.

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