Die kulturelle Identität beschreibt das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Gruppe, welches auf gemeinsamen kulturellen Merkmalen wie Sprache, Traditionen, Werten, Geschichte und Kunst basiert. Auch durch Musik können Sie ihre kulturelle Identität ausdrücken. Im Folgenden erklären wir, in welcher Form sich durch die musikalische Identität auch das Gefühl einer kulturellen Gemeinschaft bilden kann.

Formen der musikalischen Identität

Die Musik prägt unsere Identität auf ganz unterschiedliche Arten. Die Formen der Identität können in zwei verschiedene Gruppen unterteilt werden. Einerseits drücken wir durch das Musikmachen und -hören unsere persönliche Identität aus. Auf der anderen Seite kann Musik auch Ausdruck einer kulturellen Identität sein.

Musik verbindet: Menschen feiern auf einem Konzert ihre Identität.

Durch den Besuch von Konzerten unserer Lieblings-Musikgruppe können wir unsere Identität ausdrücken und mit Gleichgesinnten in Kontakt kommen. Bild von Pexels auf Pixabay

Musik als persönliche Identität

Unsere musikbezogene Identität ist eine von vielen Identitäten, durch die wir unserer Persönlichkeit ausdrücken. Aus diesen verschiedenen Identitäten bildet sich unser gesamtes Selbstkonzept. Dabei vergleichen wir uns mit anderen, um unsere Identitäten besser zu verstehen. Beeinflusst werden unsere Identitäten auch durch Ideen über unser zukünftiges Ich. Der Vergleich mit einer zukünftigen Version des Selbst hilft uns, zu verstehen, wer wir heute sind. Außerdem motiviert uns diese Vorstellung, unser Verhalten zu ändern, um zukünftige Ziele zu erreichen. Unsere persönlichen Identitäten sind nicht fix, sondern von unserem Umfeld und unseren Zukunfstswünschen beeinflusst.

Die musikalische Identität kann dabei verschiedene Formen annehmen:

  • aktive Form: Die aktive Form der musikalischen Identität beschreibt, dass wir selbst Musik aktiv gestalten. Dies kann beispielsweise als Musiker’in einer Band, oder als Komponist’in stattfinden.
  • passive Form: Die passive Form beschreibt musikbezogene Verhaltensweisen, welche sich nicht der Erzeugung von Musik widmen. Dies ist beispielsweise das Musikhören im Alltag oder das Verfolgen eine’r Künstler’in als Musikfan.

Darüber hinaus erfüllt die musikalische Identität auch bestimmte Ziele, durch die wir unsere Persönlichkeit ausdrücken:

  • Musik hören: Wir hören Musik sowohl alleine als auch mit anderen Personen zusammen. Wenn wir alleine Musik hören, verschönert sie uns oft den Alltag und begleitet und bei täglichen Aufgaben. Daneben können wir emotionale Bedürfnisse durch Musik befriedigen und durch Musik ein positives Selbstbild erzeugen. Gemeinsam mit anderen Personen hören wir Musik auf Konzerten, in Musikklubs oder auch im Austausch mit Anderen. Dabei geht es oft darum, Menschen zu finden, die uns ähnlich sind oder aktiv in eine Beziehung mit den Musiker’innen treten.
  •  Selbst Musik machen: Das aktive Musizieren ermöglicht uns, in Abhängigkeit von der gemachten Musik etwas von uns selbst darzustellen. Wir können so eine spezifische Rolle in Bezug auf die Gesellschaft, unsere persönliche Identität oder auch unser Geschlecht annehmen. Daneben hängt das aktive Musizieren auch vom persönlichen Konzept der Musikalität ab. So gibt es dabei Unterschiede zwischen Menschen, die Musik für eine Begabung halten und Menschen, die Musik für eine erlernbare Fähigkeit halten.

Die kulturelle Identität durch Musik ausdrücken

Die Idee, dass sich durch Musik auch die kulturelle Identität einer Gesellschaft ausdrückt, teilen viele Musikethnologen. Ursprünglich geht die Idee einer kulturellen, musikalischen Identität jedoch auf den deutschen Philosophen Johann Gottfried Herder zurück. Der Philosoph interessierte sich vor allem für die musikalische Folklore von Gesellschaften. Nach Herder bilden immaterielle Güter, wie Musik, bildende Künste und der Glaube, die grundlegende Essenz einer Kultur. Diese Ansicht ist eng mit dem romantischen Weltbild zum Ende des 18. und dem Beginn des 19. Jahrhunderts verbunden. Zu dieser Zeit bildete die von Generation zu Generation weitergegebene musikalische Tradition den musikalischen Geist der Gesellschaft.

Diese kulturelle Identität schien im Verlauf der Industrialisierung durch die Gegebenheiten der neuen Welt bedroht zu werden. Aufgrund der Verbesserung der individuellen Mobilität kam es zu einem stärkeren Austausch zwischen europäischen Kulturen. Die Grenzen zwischen den Kulturen schienen immer stärker zu verschwimmen. Aus diesem Grund versuchten die vergleichenden Musikwissenschaftler’innen zu dieser Zeit stark, die musikalische Folklore Europas durch eine gute Dokumentation vor ihrem „Untergang“ zu bewahren.

Auch Komponist’innen interessierten sich zu dieser Zeit sehr für die Folklore ihres Landes. So komponierte Bedřich Smetana mehrere Polkas. Dabei handelt es sich um einen Tanz aus seinem Heimatland Tschechien. Der finnische Komponist Edvard Grieg verwendete in seiner Musik häufig plagale Wendungen, die zu seiner Zeit typisch für die skandinavische Musik waren.

Musik als nationale Identität

Wie der letzte Absatz schon vermuten lässt, wurde im Verlauf des 19. Jahrhunderts die Musik als Ausdruck der kulturellen Identität des eigenen Landes von immer stärkerer Bedeutung. So mag es nicht verwundern, dass während dieses Jahrhunderts auch viele Nationalhymnen entstanden. Ziel der Nationalhymnen war es, die Bildung einer Gemeinschaft in einem politisch definierten Bereich — also den Grenzen der Nation — zu unterstützen. Nur selten findet man in den westlichen Nationalhymnen jedoch musikalische Einflüsse aus der Folklore. Inhaltlich beschäftigen sich die Hymnen häufig mit der Militärgeschichte oder der Schönheit des Landes sowie mit Ereignissen, die ein großes Kollektiv der Menschen teilt. Zu ihrer Kompositionszeit war ihr Verwendungszweck bereits für staatliche, offizielle Anlässe gedacht.

Ein kanadisches Baseballteam steht auf dem Feld und singt die Nationalhymne.

Das Singen der Nationalhymnen auf internationalen Sportevents ist ein gutes Beispiel für die Verwendung der Hymnen in heutiger Zeit. Quelle: Bild von Keith Johnston auf Pixabay

Aus diesen Gründen tendieren die Hymnen jedoch dazu, die Themen der regierenden Gesellschaftsschicht zu transportieren. So erzählt die amerikanische Nationalhymne The Star -Spangled Banner (Spotify) vom Krieg zwischen den Briten und Amerikanern im Jahre 1812. Auf die Geschichte und Kultur der Natives nimmt die Hymne hingegen keinen Bezug.

Dennoch gibt es wenige Nationalhymnen auf der Welt, welche die indigenen Bevölkerungen des Landes berücksichtigen. Das gilt zum Beispiel für die neuseeländische Hymne God Defend New Zealand (Spotify). Neben dem englischen Text gibt es auch eine māorische Version des Textes. Die Versionen unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich der Sprache, sondern auch in ihrem Inhalt. So drückt die māorische Version kulturelle und spirituelle Werte der Māori aus. Zu offiziellen Anlässen wird sowohl eine englische, als auch eine māorische Strophe der Hymne gesungen.

Die kulturelle Identität in Musik aus moderner Perspektive

Auch wenn das romantische Bild, dass die Musik als Teil des immateriellen Geistes kultureller Identität eine Gesellschaft prägt, besteht bis heute. Dennoch lässt sich kulturelle Identität in heutiger Zeit noch viel weniger als zu Herders Zeiten an Landesgrenzen festmachen. Dies ist auch von den diversen Transformationen des 20. und 21. Jahrhunderts beeinflusst:

  • Digitalisierung und Musikstreaming: Heute ist es dank Streamingdiensten überall auf der Welt möglich, Musik aus anderen Regionen zu hören. Dadurch kommt es zu einer stärker individualisierten musikalischen Identität. Lokale Traditionen rücken mehr in den Hintergrund und musikalische Subkulturen können sich über weite geografische Entfernungen bilden und austauschen. Dabei ist die gehörte Musike jedoch auch heute noch stark davon abhängig, in welcher Form Personen aktiv nach spezifischer Musik suchen.
  • Migration und transkultureller Austausch: Durch Migration und Diaspora entstehen neue kulturelle Identitäten. Dabei verbinden sich häufig Aspekte von zwei kulturellen Lebenswelten. Beispiele in der Musik dafür sind Stile wie Hip-Hop, Afrobeat oder auch Rap. Musik dient dabei einerseits der Identitätsbewahrung, aber auch der Integration in die neue kulturelle Lebenswelt.
  • Globalisierung: Durch Migration und Digitalisierung verbreiten sich ursprünglich regionale Musikstile in heutiger Zeit viel schneller über den Globus. Dies fördert ebenfalls die Vermischung von Musikkulturen, die früher eine geografische Trennung aufwiesen. Auch wenn heute dadurch viel mehr Musik verfügbar ist, gehen einige Musikstile jedoch auch in der schieren Masse an verfügbarer Musik unter.
  • Wiederbelebung traditioneller, lokaler Musikstile: Dem stehen die Bemühungen vieler indigenen Gemeinschaften gegenüber, ihr kulturelles Erbe wiederzubeleben und ihm eine stärkere Präsenz zukommen zu lassen. Dies stärkt einerseits die kulturelle Identität dieser Gemeinschaften und bildet andererseits eine Gegenbewegung zur Homogenisierung der musikalischen Kulturlandschaft durch die Globalisierung.

Die kulturelle Identität in Bezug auf Musik lässt sich nicht durch Landesgrenzen oder politische Fakten definieren. Viel mehr wird sie durch den Austausch zwischen globalen Trends und lokalen Traditionen geprägt. Auf diesen Prozess wirken auch Faktoren der persönlichen musikalischen Identität mit ein. Andererseits beeinflusst die musikbezogene kulturelle Identität auch unsere persönliche Identität. Wir können also schließen, dass häufig verschiedene kulturelle Identitäten der Musik relativ unabhängig von einem geografischen Raum existieren.

Weshalb die spanische Nationalhymne keinen Text hat, können Sie ebenfalls auf unserem Blog erfahren.

Quellen:

MacDonald, R.; Hargreaves, D.J.; Miell, D.: Handbook of musical identities (First edition). (2017). Oxford University Press.

Thompson, W. F.; Olsen, K. N.: The science and psychology of music: From Beethoven at the office to Beyoncé at the gym. (2021). Greenwood.