Wer sich mit Jazzmusiker’innen schon einmal über Jazzstandards unterhalten hat, wird vielleicht schon davon gehört haben. Das sogenannte Real Book wird nämlich auch als Bibel des Jazz bezeichnet. Aber was genau steht dort alles drin und wie ist es notiert? Und was sind die Ursprünge dieser Notensammlung? In diesem Artikel finden Sie die Antworten dazu und erfahren noch mehr über das legendäre Real Book.

Das Real Book in der sechsten Auflage.

Im Jahr 2004 veröffentlichte Hal Leonard die erste legale Ausgabe des Real Books, die sechste Edition, in Anlehnung an die vorherigen fünf illegalen Versionen. Foto: Lasse Hemsing.

Ursprung des Real Books

Student’innen des Berklee College of Music in Boston erstellten in den 1970er Jahren das erste Real Book. Sie wollten eine zuverlässigere und umfassendere Sammlung von Jazzstücken schaffen. Man bezeichnet solche Sammlungen bisher auch als Fakebooks. Das Konzept der Fakebooks existiert schon deutlich länger als das Real Book, das jedoch der bekannteste Vertreter dieser Art ist:

  • Das Original-Real Book enthält hauptsächlich Jazzstandards aus dem Great American Songbook und Kompositionen von Jazzgrößen wie Miles Davis, John Coltrane, Thelonious Monk und Duke Ellington.
  • Trotz der illegalen Verbreitung ohne Erlaubnis der Rechteinhaber gewann das Original-Real Book wegen seiner Genauigkeit und Qualität große Popularität.
  • Der Name Real Book entstand vermutlich dem Anspruch, eine „echte“ und akkuratere Sammlung von Jazzstandards zu bieten und sich somit von den Fakebooks abzugrenzen.
  • Die abgebildete Ausgabe von Hal Leonard ähnelt äußerlich den Originalen und enthält 90 neue Stücke. Diese finden Sie in der Spotify Playlist Real Book Vol 1.

Merkmale der Notation im Real Book

Die Notation im Real Book ist minimalistisch, aber einheitlich. Der Stil ist funktional darauf ausgelegt, Musiker’innen ein schnelles Lesen und Interpretieren zu ermöglichen. Musiker’innen können die Melodie und Harmonien nach eigenem Ermessen interpretieren und anpassen. Das Real Book bietet eine solide Grundlage für Jazzmusiker’innen, um kreativ zu sein und ihre Interpretationen und Improvisationen frei zu gestalten. Es dient sowohl als Lernhilfe als auch als praktisches Werkzeug für die Aufführung.

Einer der bekanntesten Jazzstandards überhaupt. Auch "Autumn Leaves" befindet sich im Real Book.

Ein klassischer Jazz Standard im Real Book. Oben links steht Stilangabe und oben rechts die Komponisten. Foto: Lasse Hemsing.

Hier sind einige der charakteristischen Merkmale und der Stil der Notation etwas genauer erklärt:

  • Ein Leadsheet ist eine vereinfachte Notation eines Musikstücks, die nur aus der Melodie (ggf. mit Text) und Akkordsymbolen besteht. Meist passt sie auf eine Seite. Diese Form der Notation ist in der Jazz- und Rockmusik weit verbreitet.
  • Die Melodie ist in einem einzigen Notensystem (meistens mit Violinschlüssel) dargestellt. Dabei fehlen mitunter Verzierungen oder zusätzliche Harmonien. Das Layout erinnert an Handschrift
  • Über der Melodie sind die Akkordsymbole angegeben. Darüber hinaus werden auch Erweiterungen in Zahlen (bspw. b9 oder #11) angegeben.
  • Die Stücke im Real Book enthalten oft Hinweise auf die Form und Struktur, wie Wiederholungen, Codas, Dal Segno (D.S.), und Da Capo (D.C.). So ist die Struktur klar, aber die Darstellung kurz.
  • Im Gegensatz zur Melodie ist der Rhythmus der Akkorde ist in der Regel improvisiert. Da im Jazz typischerweise geswingt wird, sollen Achtelnoten nicht binär, sondern ternär gespielt werden. Da die binäre Schreibweise sowohl leichter zu schreiben als auch zu lesen ist, sind Jazzstandards so notiert.
Ende Autumn Leaves im Real Book.

Am Ende eines Jazz Standards steht häufig noch die Aufnahme, an der sich bei der Transkription orientiert wurde. Foto: Lasse Hemsing.

Versionen und Formate

Im Laufe der Jahre wurden verschiedene Versionen des Real Books veröffentlicht, die unterschiedliche Genres und Stilrichtungen abdecken, darunter Bebop, Latin Jazz, und Funk. Heute gibt es legale Ausgaben des Real Books, die offiziell lizenziert sind und somit die Rechte der Komponisten respektieren. Diese Versionen sind in verschiedenen Transpositionen für unterschiedliche Instrumente erhältlich, darunter:

  • C-Instrumente: Klavier, Gitarre, Flöte
  • B♭-Instrumente: Trompete, Klarinette, Tenorsaxophon
  • E♭-Instrumente: Altsaxophon, Baritonsaxophon
  • Bass-Schlüssel-Instrumente: Bass, Posaune

Der Begriff „Real Book“ hat sich inzwischen zu einer allgemeinen Bezeichnung für Sammlungen transkribierter Stücke entwickelt. Viele Verlage nutzen ihn, um ihre Zusammenstellungen zu benennen. Beispiele hierfür sind das Latin Real Book, das All-Jazz Real Book und das Real Jazz Standards Fake Book. Auch regionale Jazzszenen erstellen mittlerweile spezifische Real Books, um eigene Kompositionen darzustellen, wie im Fall des European Real Book oder des Australian Jazz Real Book. Wenn Sie ein wenig durch Jazznoten blättern wollen, empfehle ich Ihnen das Real Book für C-Instrumente.

Und falls Ihr Interesse auch für Improvisation geweckt worden ist, lege ich Ihnen unseren Artikel über die Kirchentonleitern nahe.