Binaural Audio ist ein Wiedergabeverfahren für räumliches Hören. Mit einer guten Binaural Audio Produktion hört es sich an, als säßen Sie am Konzertflügel, als stünden Sie von Fans umringt im Stadion, oder als liefen Sie in der Realität, und nicht im Spiel, durch Vice City. Echtes 3D-Audio! Der Grund, warum es das nicht schon längst auf dem Massenmarkt gibt, klingt fast zu romantisch, um wahr zu sein: Sie sind einzigartig!

Schwächen der Stereo-Kopfhörerwiedergabe

Konventionelle Kopfhörerwiedergabe hat vier Schwächen, die dafür sorgen, dass wir sie nie für „echt“ halten. Binaural Audio überwindet diese Schwächen und kann daher akustische Illusionen erzeugen, also so klingen, als fände alles gerade tatsächlich um Sie herum statt:

  1. Stereo klingt, als fände alles im Kopf statt… etwas weiter links oder rechts, etwas breiter oder schmaler ⟶ es fehlt Externalisierung
  2. Wir hören die Dauer und die Klangfarbe vom Nachhall, also: Aha, Badezimmer, oder Kathedrale. Aber: Es klingt, als würde nur die Musik in dem Raum stattfinden, nicht, als wären wir selbst in diesem Raum ⟶ Immersion fehlt, wir fühlen uns wie außenstehende Beobachter und nicht involviert.
  3. Stereo spielt sich vor allem auf einer links-rechts-Achse ab. In der wahren Welt kommen Klänge aber auch von vorne oder hinten, oben oder unten ⟶ zwei der drei Dimensionen fehlen.
  4. Drehen wir unseren Kopf, rotiert die Musik mit. Uns fehlt Kontrolle über unsere Position und Perspektive in der akustischen Szene. „Objektorientierte“ Formate in Videospielen lassen Sie zumindest die akustische Perspektive Ihres Avatars einnehmen. Binaural Audio mit Head-Tracking oder Motion Capture perfektioniert die akustische Illusion.

Wie klingt Binaural Audio?

Der Klang und Höreindruck von Binaural Audio ist von drei Dingen abhängig:

  • Aufnahme- und Produktionstechnik
  • Abspielgerät / Kopfhörer
  • Ihre individuelle Head-Related-Transfer-Function (HRTF)

Im folgenden Audio-Beispiel hören Sie einen Friseursalon durch eine Kunstkopf-Aufnahme. Es wird alle zehn Sekunden zwischen binaural und mono Sound umgeschaltet. Links-rechts funktioniert immer. Ähnelt Ihre individuelle HRTF der des Kunstkopfes, können Sie aber auch zwischen vorne und hinten unterscheiden, und erschrecken vielleicht sogar, wenn der Haartrimmer Ihnen zu nahe kommt (Kopfhörer aufsetzen und den Kopf ruhig halten):

Vergleich zwischen Mono und Binaural Audio. Original: Mr Binaural – The Italian Barber Shop (Creative Commons)

Leider klingt die Szene für die meisten Menschen nicht realistisch; als wären nicht Sie im Friseursalon, sondern der Friseursalon in Ihrem Kopf. Denn eine HRTF ist fast so individuell, wie ein Fingerabdruck. Und nur, wenn Ihre individuele HRTF der des Kunstkopfes ähnelt, verlässt die Szene Ihren Kopf und klingt, wie das wahre Leben.

Kunstkopf vor Orgel Binaural Audio 3D Audio Dummy Head Recording

Binaurales Orgelkonzert: Eine Kunstkopf-Aufnahme vor einer Orgel. Foto: Roman Stracke

Die Kunstkopf-Aufnahme ist eine typische Aufnahme-Technik. Ein Kunstkopf besteht häufig aus Hartgummi und ist wie ein menschlicher Kopf geformt. Innerhalb der Ohren ist jeweils ein Mikrofon positioniert, um den eintreffenden Schall aufzunehmen. Beim Abspielen hört man dann das jeweilige Mikrofon-Signal auf dem dazugehörenden Kopfhörer-Kanal. Hierbei hört man dann nicht die eigene HRTF, sondern die des Kunstkopfes. Für manche Menschen stimmt das gut überein und es entsteht ein authentischer Höreindruck. Für Andere klingt die Aufnahme nach nichts Besonderem.

Wie funktioniert binaurales Audio?

Ihre persönliche HRTF kann in reflexionsfreier Umgebung gemessen werden. Sie beschreibt die Übertagung von der Schallquelle bis zum Trommelfell. Auf diesem Weg wird der Schall gefiltert, durch

  • Ihre Ohrmuscheln
  • Ihren Kopf,
  • Ihre Schultern
  • Ihren äußere Gehörgang und teilweise sogar
  • Ihre Haare.

Die größte Rolle spielen hierbei die Größe und Form Ihrer Ohren. Das Komplizierte: Diese Filterung ist für jede Quellenposition anders. Als hätten Sie für jeden Winkel und jede Entfernung einen eigenen Equalizer im Kopf. Diesen Equalizer können Sie gar nicht bewusst hören. Im Gegenteil, Sie haben sich daran gewöhnt. Unbewusst nutzt Ihr Gehirn aber genau diese vielen Equalizer, um Winkel und Entfernung von Schallquellen einzuschätzen. Binaural Audio versucht, möglichst alle dieser Equalizer nachzubauen. Zum Beispiel

  1. indem Sie mit Mikrofonen in Ihren Ohren Schall aus hunderten Richtungen und verschiedenen Entfernungen aufnehmen,
  2. indem Ihre HRTF aus Fotos Ihrer Ohren, oder Hörversuchs-Ergebnissen prognostiziert wird, oder
  3. indem Sie sich so lange durch eine HRTF-Datenbank hören, bis der Klang Ihren Kopf verlässt, und Sie vorne und hinten gut unterscheiden können.

Mit Ihrer persönlichen HRTF kann so die perfekte auditorische Illusion entstehen. Diese wird realistischer, wenn Ihre Bewegungen erfasst und berücksichtigt werden. Fehler in der HRTF sorgen für Im-Kopf-Lokalisation, Vorne-Hinten-Verwechslung oder unerwünschte Elevation, als käme der Schall von zu weit oben.

Binaural Audio Messung einer HRTF (Head Related Transfer Function) im schalltoten Raum

Messung einer HRTF im schalltoten Raum. Ein spezielles Mikrofon wird in den Ohrkanal eingeführt. Foto: Roman Stracke

Doch alle drei Optionen sind nicht optimal. Die Messungen der HRTF sind am genauesten, doch äußerst zeitaufwendig. Die Methode über die Fotos bringt nur sehr ungenaue und teilweise falsche Ergebnisse und das Browsen durch eine Datenbank ist ein Glücksspiel und nahezu hoffnungslos. In der Systematischen Musikwissenschaft wird daran geforscht, diese Hürden zu überwunden, damit wir akustische Szenen genießen können, die weitaus realistischer wirken, als grafische Virtual Reality.