Verschiedene Reggae-Arten haben sich bis heute gebildet und über den Globus ausgebreitet. Das Genre erfreut sich nicht nur in seiner jamaikanischen Heimat großer Beliebtheit. Deshalb gibt dieser Artikel einen kurzen Überblick über die wichtigsten Stilrichtungen des Reggae. Die Verlinkungen zu einzelnen Songs führen zu Spotify.
Early Reggae
Beim Early Reggae handelt es sich um die frühste Art des Reggae. Das Subgenre (und der Reggae im Allgemeinen) entstand aus den Musikstilen Rocksteady und Ska. Bei beiden Musikstilen handelt es sich um jamaikanische Tanzmusik, die sich während der 1950er Jahre entwickelte. Early Reggae ist im Gegensatz zu seinen beiden Vorgängern jedoch schneller als der Rocksteady und rhythmisch komplexer als der Ska. Dazu kommt der für den gesamten Reggae typische Offbeat, bei welchem die Achtel zwischen den betonten Zählzeiten durch die HiHat des Schlagzeugs sowie weitere Instrumente wie der Rhythmusgitarre oder der Orgel betont werden. Hinzu fügt sich der Gesang, welcher stark an die Harmonik von Soul-Musik angelehnt ist.
![Reggae Arten sind Early Reggae, Roots, Dub, Dancehall und Reggaeton. Rocksteady und Ska sind Vorläufer.](https://systmus.blogs.uni-hamburg.de/wp-content/uploads/2024/09/Bob_Marley-300x169.jpg)
Nicht nur Bob Marley hat viel zur Entwicklung der Reggae-Musik beigetragen. Quelle: Eddie Mallin auf Flickr, CC BY 2.0
Die Songtexte beschäftigten sich oftmals mit der Liebe und anzüglichen Inhalten, jedoch finden sich auch schon in diesem Subgenre sozialkritische Themen. Häufig genutzt wurden auch Effekte wie Hall oder Delay für die die Gitarren und die Orgel. In der Musikproduktion hatten die Studios häufig eine feste Band, die alle instrumentalen Aufnahmen des Hauses einspielte. Das Instrumental wird auch „Riddim“ genannt. Die Sänger und Gesangsgruppen wurden hingegen für eine festgelegte Gage zum Einsingen spezifischer Songs hinzugeholt. Die Aufnahmen wurden häufig in Form von einzelnen Singles veröffentlicht. Das ermöglichte es auch finanziell schwachen Personengruppen, die Musik zu erwerben. Bei den LPs dieser Zeit handelt es sich häufig um Zusammenstellungen von bereits erschienenen Singles.
Musiker’innen des Early Reggae:
Die Musiker’innen des Early Reggae waren im Prinzip die Erfinder des Reggae-Genres. Im Folgenden könne Sie sich ein paar Songs aus dieser Zeit anhören:
- Derrick Morgan: Dem Sänger Derrick Morgan (*1940) wird mit seiner Neuauflage des Ska-Titels Fat Man teilweise die erste Reggae-Aufnahme zugeschrieben. Dies ist jedoch umstritten, ein eindeutig erster Reggae Song ist wohl nicht auszumachen.
- Toots & the Mytals: Leadsänger dieser Musikgruppe war der jamaikanische Sänger Frederick „Toots“ Hibbert (*1946). Im Jahr 1962 formierte er mit seinen zwei Freunden Raleigh Gordon und Jerry Mathias ein Gesangstrio — the Mytals. Auch ihnen könnte mit dem Song Do the Reggay der erste Reggae-Song zugeordnet werden.
- The Ethiopians ist eine Band des Early Reggae, deren Mitglieder auch von Rastafari geprägt waren. Daher gilt sie auch als Wegbereiter des Roots-Reggae. In ihrer Musik zeigten sich beispielsweise schon sozialkritische Themen wie in ihrem Song Everything Crash.
Roots Reggae
Der Roots Reggae ist wohl die den meisten bekannte „klassische“ Stilrichtung des Reggae. Bekannte Künstler’innen des Stils sind Bob Marley und seine Familie. Dabei handelt es sich um eine Form der Musik, welche sich bereits relativ früh aus dem Rocksteady und dem Early Reggae entwickelte. Im Vergleich zum Early Reggae tritt hier ein langsameres Tempo auf und die Texte der Musik werden wichtiger. Dabei ist der Roots Reggae insbesondere mit der Rastafari-Religion verbunden. So sind in den Texten oftmals religiöse Inhalte zu finden, wie beispielsweise in Bob Marleys Lied Exodus. Darüber hinaus setzen sich die Musiker’innen mit der afrikanischen Diaspora und den gesellschaftlichen Strukturen kritisch auseinander.
Im zeitlichen Kontext war die Stilrichtung vor allem während der 70er Jahre weit verbreitet und ihr Einfluss ging während der 1980er Jahre zurück. Bekannte Künstler dieser Zeit waren Peter Tosh, Gregory Isaacs und Max Romeo.
Aktuelle Künstler’innen des Roots-Reggae:
Auch heute gibt es noch viele Musiker’innen, die sich dem Roots-Reggae widmen. Diese Reggae-Art erlebt in den letzten fünfzehn ein Revival.
- Protoje gehört zu den Künstlern des Roots-Revivals. Neben Roots-Reggae sind in Protojes Musik auch Elemente des Dub zu finden. Ein gutes Beispiel für die Musik von Protoje ist der Song Who knows, den er gemeinsam mit dem Künstler Chronixx im Jahre 2014 veröffentlichte.
- Gentleman ist ein international bekannter deutscher Reggae-Sänger. Daneben lässt er auch Einflüsse aus dem Hip-Hop in seine Musik einfließen. Dem Roots Reggae entsprechend greift er in seinen Songs auch sozialkritische Themen auf, wie beispielsweise in seinem Song Superior.
- SOJA: Die Soldiers of Jah Army eine amerikanische. Die Band wurde 1997 von mehreren Freunden gegründet, die bereits während ihrer Schulzeit gemeinsam unterschiedliche Musik gemacht hatten. Ein Beispiel für ihre Musik ist ihr Song Bad News, der sich kritisch mit der heutigen Medienkultur auseinandersetzt.
- Sara Lugo ist eine deutsche Reggae-Sängerin mit puerto-ricanischen Wurzeln. Seit 2005 ist sie erfolgreich als Reggae-Sängerin tätig. Dabei lässt sie sich auch häufig auf Kooperationen mit anderen Musiker’innen ein, wie beispielsweise in ihrem Song Forward mit Deliman.
Dub
Dub ist ein Begriff, der eher eine Form der Musikproduktion beschreibt. Dabei geht es darum, die instrumentalen Bestandteile von bereits bestehenden Songs neu zu bearbeiten. Diese Praxis begann gegen Ende der 1960er Jahre und fiel so mit der Entstehung des Early Reggae zusammen. Zu dieser Zeit war es üblich, dass auf der B-Seite von 45-RPM-Schallplatten die instrumentale Version eines Songs ohne Gesang oder instrumentalen Solos festgehalten wurde. Grund dafür war, dass die feiernden Zuhörer eines Soundsystems gerne die Texte der gespielten Songs selbst sangen. Dazu wurden die sogenannten Dubplates (vom englischen „to double“) von den DJs der Soundsystems aufgelegt. Andererseits ermöglichte die instrumentale B-Seite den Künstler’innen jedoch auch, das Material des Songs für eigene Zwecke ohne den großen Aufwand der Stimmtrennung weiterzuverwenden.
Mit der Zeit begannen die DJs, selbst improvisierte Texte mit den von ihnen aufgelegten Dubplates zu singen. Dies führte dazu, dass die musikalischen Fähigkeiten eines DJs zu einem großen Anteil an der Kreativität seines Sprechgesangs (Toasting) gemessen wurde. Darüber hinaus werden die Instrumentalversionen der Dubplates im Studio weiter bearbeitet. Dabei trennt man die einzelnen Instrumentalspuren des Riddims, versieht sie mit Effekten und verarbeitet sie zu einem neuen Musikstück. Darauf wird dann das Toasting gesungen. Häufig verwendete Effekte sind beispielsweise Echo oder Reverb, oft gekoppelt mit Chorus- und Flanger-Effekten.
Bekannte Künstler’innen des Dub:
Dub-Musiker’innen sind in zwei Dingen oft besonders gut: Zum einen können sie sehr gut mit Technik zur Musikproduktion umgehen. Auf der anderen Seite haben sie oftmals auch viel Übung in der sprachlichen Improvisation durch das Toasting.
- Lee „Scratch“ Perry: Perry gilt im Allgemeinen als einer der einflussreichsten Personen in der Entwicklung des Reggae. Seit dem Beginn seiner Karriere im jamaikanischen Musikbusiness in den 1950er Jahren hat er die Szene bis zu seinem Tod 2021 als aktiver Musiker und Musikproduzent geprägt. So wurden auch noch mehrere Alben in seinem Todesjahr veröffentlicht, unter anderem mit dem Song Punky Reggae Party Dub.
- Alpha & Omega: Die britische Musikgruppe wurde von der Bassistin Christine Woodbridge und dem Keyboarder John Sprosen in den 1980er Jahren gegründet. Auch wenn sich die Musiker’innen an Dub-Künstler’innen der 1970er orientieren, wird ihr Stil als „einzigartig britisch“ bezeichnet. Auf ihrem erst kürzlich in Zusammenarbeit mit Indica Dubs veröffentlichten Album Jah Guide & Protect erschien unter anderem der Song Conquering Horns.
- The Rootsman ist ein britischer DJ, der auch Dub-Musik macht. Neben den aus dem Reggae stammenden Riddims verarbeitete er auch Tonspuren aus dem afrikanischen, asiatischen und arabischen Raum in seiner Musik. Dies können Sie zum Beispiel in dem Song Ancient Vibrations gut hören.
Dancehall
Beim Dancehall handelt es sich um eine Art des Reggae, welcher auch Einflüsse aus dem Hip-Hop und der elektronischen Tanzmusik Jamaikas während der 1980er Jahre vereint. Dabei war der Begriff Dancehall ursprünglich nicht für den Musikstil bezeichnend. Viel mehr war mit Dancehall einfach die Musik im Allgemeinen gemeint, die ab den 1980er Jahren auf den jamaikanischen Tanzveranstaltungen (in den sogenannten Dancehalls) spielte. Musikalisch dominierte dabei das Subgenre Raggamuffin (kurz Ragga), weshalb die beiden Begriffe heute oftmals als Synonyme Verwendung finden.
Durch die Entwicklung im Zuge der elektronischen Tanzmusik zeichnet sich die Stilrichtung des Reggae durch elektronische Instrumentalisierung und tanzbare Rhythmen aus. Dabei werden Synthesizer oder Drumcomputer verwendet, um die basslastigen Riddims zu erzeugen. Über diese Instrumentalstücke wird ein Toasting gesungen. Im Gegensatz zum Rap beinhaltet das Toasting hier jedoch mehr melodische Anteile. Sprachlich wählen Künstler’innen häufig das jamaikanische Patois. Inhaltlich spielen im Gegensatz zum Roots Reggae religiöse Themen kaum eine Rolle. Dafür werden im Dancehall die Themen Sexualität, Armut und Gewalt thematisiert. Dabei können die Texte, in Ähnlichkeit zum Hip-Hop, stark sexualisierend, gewaltverherrlichend und frauenfeindlich sein.
Darüber hinaus besteht auch eine homophobe Strömung in der Szene. Jedoch wird die Musik auch von Sängerinnen wie Danger genutzt, um gegen ihre geschlechtsspezifische Diskriminierung zu protestieren. Der Musikstil verbreitete sich über jamaikanische Auswanderer in England und erlangte seit den 1990ern immer größere Bekanntheit auf unserem Kontinent. Ab den 2010er Jahren beeinflusste die tanzbare Musik zunehmend auch die Produktion westlicher populärer Musik.
Bekannte Dancehall-Musiker’innen:
Dancehall-Musiker’innen haben es auch in Deutschland häufiger in die Radios geschafft. Deshalb könnte Ihnen der ein oder andere hier genannte Künstler’innen durchaus bekannt vorkommen.
- Wayne Smith: Der Song Under Me Sleng Teng (1985) des jamaikanischen Künstlers wird häufig als erstes Lied des Dancehall angesehen. Der Musiker generierte für den Song erstmalig einen Rhythmus mit einem elektronische Casio-Keyboard. Deshalb wird er als Startpunkt des Einzuges digitaler Klangerzeugung in die Reggaemusik angesehen.
- Seeed: Seed ist eine deutsche Dancehall-Band, die sich 1998 gründete. Zu ihren drei Leadsängern gehört auch der bekannte Musiker Peter Fox. Die Musikgruppe ist bis heute aktiv. Im Jahr 2002 landete sie mit ihrem Song Waterpumpee als erste deutschsprachige Band einen Hit in den Staaten Tobago und Trinidad. Daran schloss sich auch eine ganze Tour durch Afrika an.
- Sean Paul mag Ihnen vielleicht ein bekannter Name sein, weil er während der 2010er-Jahre auch in Deutschland mehrere Hits landete. Unter anderem wurde der Song She Doesn’t Mind des Jamaikaners in dieser Zeit sehr häufig im Radio gespielt.
- Lady Saw gilt als erste Sängerin, die während der 1990er Jahre als Frau erfolgreich die männlich dominierten Bühnen des Dancehall betrat. Erfolgreich wurde sie auch deshalb, weil sie den Mut hatte, sich wie ihre männlichen Kollegen explizit zu sexuellen Themen in ihrer Musik zu äußern. Durch ihre erfolgreiche Single Find a Good Man war es ihr auch möglich auf großen Reggae-Festivals wie dem Reggae-Sunsplash auf Jamaika aufzutreten.
Reggaeton
Bei diesem Musikstil handelt es sich um eine Mischung verschiedener Musikrichtungen, unter denen der Reggae nur eine ist. Häufig wird das Genre und seine Entstehungsgeschichte während der 1980er Jahre dem Land Puerto Rico zugeordnet, wobei dies nicht unumstritten ist. Dem liegt zugrunde, dass die ersten lateinamerikanischen Reggae Songs nicht aus Puerto Rico, sondern aus Panama stammen. Die musikalische Form des Reggaeton wurde danach aber insbesondere von puerto-ricanischen Musiker’innen definiert, welche den Stil auch international bekannt machten. Fest steht jedoch, dass der Musikstil starke lateinamerikanische Einflüsse hat: Der Gesang ist häufig Spanisch und es finden sich Elemente aus dem Salsa oder dem Merengue in der Musik. Daneben beeinflussten der Hip-Hop und der Dancehall die Musik stark. Während der 2000er erreichte der Musikstil internationale Bekanntheit.
Bekannte Künstler’innen des Reggaeton:
Reggaeton ist ein lateinamerikanischer Musikstil, der bis heute auch im deutschen Radio zu hören ist. Trotz der internationalen Verbreitung der Musik durch die digitalen Medien ist wird das Genre bis heute noch sehr häufig von lateinamerikanische Musiker’innen auf die Bühne gebracht.
- Don Omar: Der „King of Reggaeton“ stammt aus Puerto Rico und wurde von den Zeitschriften Billboard und Rolling Stone als Legende des Musikstils anerkannt. Der Sänger gehört zu den Personen, die Reggaeton international bekannt machten. In Deutschland erreichte er 2010 mit seinem Song Danza Kuduro den ersten Platz der Charts.
- DJ Nelson: Der ebenfalls puerto-ricanische DJ Nelson spielte neben anderen seit den 1990ern eine wichtige Rolle in der Entwicklung und Popularisierung des Musikstils. 2004 veröffentlichte er als Produzent beispielsweise den Song Noche de Travesura, in dem Divino und Héctor el Father als Rapper zu hören sind.
- Natti Natasha ist eine Reggaeton-Sängerin, die aus der Dominikanischen Republik kommt. Nachdem sie mit Freundinnnen eine Band gegründet hatte, wurde Don Omars Label Orfanto auf sie aufmerksam, welches sie zu Beginn ihrer Karriere viel unterstüzte. Ihr bislang erfolgreichster Song im deutssprachigen Raum war Sin Pijama, mit dem sie auf Platz 33 der schweizer Singlecharts im Jahr 2018 landete.
Dieser Artikel zeigt, wie vielfältig die verschiedenen Reggae-Arten sind. Dabei gitb es nicht nur innerhalb des Reggae neue Erfindungen, sondern die Musik vermischt sich auch mit anderen Musikstilen, wie beispielsweise dem Hip-Hop. In weiteren Artikeln stellen wir Ihnen verschiedene Hip-Hop-Stile und Jazz-Arten vor.
Quellen
Bratfisch, R. (2003). Das grosse Reggae-Lexikon: Rastas, Riddims, Roots & Reggae: vom Ska zum Dancehall — die Musik, die aus Jamaika kam. Schwarzkopf und Schwarzkopf.
Moskowitz, D. V. (2006). Caribbean popular music: An encyclopedia of reggae, mento, ska, rock steady, and dancehall. Greenwood Press.