Die Verbindung zwischen Musik und Persönlichkeit ist ein faszinierendes Forschungsfeld, das die Vielschichtigkeit untersucht, mit der unser Musikgeschmack ein Fenster zu unserem inneren Selbst sein kann. Während auch Nicht-Musiker’innen musikalische Einflüsse auf ihre Persönlichkeit erfahren, ist der Zusammenhang zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und professionell musizierenden besonders gut erforscht. In diesem Artikel erfahren Sie einerseits, wie sich Persönlichkeit messen lässt, andererseits geht es um die Wechselwirkungen zwischen professionellen Leistungen in der Musik, Musikgenres und den Feinheiten unserer Persönlichkeit.
Die Big-Five-Dimensionen
In der Psychologie sind die Big Five-Persönlichkeitsfaktoren, auch als Fünf-Faktoren-Modell (FFM) bekannt, ein anerkanntes und umfassend untersuchtes Rahmenkonzept, welches die menschliche Persönlichkeit beschreibt und kategorisiert. Ein Big-Five-Test ermittelt das Persönlichkeitsprofil anhand der fünf wesentlichen Dimensionen Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und Neurotizismus. Jede Dimension besteht aus verschiedenen Merkmalen, die Verhalten, Gedanken und Emotionen umfassen. In der folgenden Abbildung ist das Big-Five-Modell dargestellt:
- Offenheit: Misst die Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Erfahrungen, einschließlich Merkmalen wie Kreativität und Originalität (neugierig/phantasievoll vs. engstirnig, verschlossen gegenüber Erfahrungen)
- Gewissenhaftigkeit: Misst Effizienz und Organisation, einschließlich Faktoren wie Selbstkontrolle und Genauigkeit (effizient/organisiert vs. leichtfertig/nachlässig)
- Extraversion: Misst Geselligkeit und zwischenmenschliches Verhalten, einschließlich Aktivität und Selbstvertrauen (kontaktfreudig/gesprächig vs. zurückgezogen/zurückhaltend)
- Verträglichkeit: Misst Freundlichkeit und Mitgefühl in sozialen Interaktionen, einschließlich Vertrauenswürdigkeit und Bescheidenheit (freundlich/gutmütig vs. distanziert/antagonistisch)
- Neurotizismus: Misst die emotionale Verletzlichkeit, einschließlich Launenhaftigkeit, Impulsivität und Gefühle von Angst, Trauer und Anspannung (empfindlich/nervös vs. ruhig/nicht leicht aus der Fassung zu bringen)
Musikgeschmack und Persönlichkeit
Einige Studien zeigen konsistente Verbindungen zwischen dem Musikgeschmack und der Persönlichkeit. So untersuchten Ferwerda et al. (2017), wie die Präferenzen für 18 gängige Musikgenres mit den Big-Five-Merkmalen von 1068 Personen zusammenhängen. Die Ergebnisse zeigen, dass es Unterschiede im Musik-Hörverhalten zwischen verschiedenen Persönlichkeitsmerkmalen gibt und dass sich diese Unterschiede nach Altersgruppen weiter aufschlüsseln lassen. In der folgenden Tabelle ist dargestellt, welche Musikrichtungen die Menschen in Abhängigkeit von der Ausprägung der Big Five bevorzugen (positiver Zusammenhang) bzw. nicht bevorzugen (negativer Zusammenhang):
Die Befragten mit hohen Werten in Offenheit haben vergleichsweise viele musikalische Vorlieben, was wiederum zu dem Persönlichkeits-Merkmal passt, dass diese Personen neugierig und offen für Erfahrungen sind. Sehr gewissenhafte Menschen bevorzugen Jazz und alternative Musik, während Neurotiker’innen gerne Alternative, Punk und Heavy Metal hören. Rap und R&B werden insbesondere von extravertierten Personen präferiert, wohingegen Befragte mit hohen Werten in Verträglichkeit Country, Folk und Pop bevorzugen.
Die Persönlichkeit von Musiker’innen
Gerade unter professionellen Musiker’innen treten vielfältige Wechselwirkungen zwischen Musik und Persönlichkeit auf. Welche Persönlichkeitsmerkmale bei Musikschaffenden besonders ausgeprägt sind bzw. wie deren Persönlichkeit das Musizieren beeinflussen kann, wird im Folgenden anhand der Big Five-Merkmale strukturiert:
- Offenheit
- Besonders offene Musiker’innen sind musikalisch kreativ, neugierig und an unbekannten Elementen interessiert. Ihr Musikgeschmack ist eklektisch, sie experimentieren also mit verschiedenen Genres und Stilen.
- Laut Corrigall et al. (2013) verfügen offene Menschen oft über eine hohe musikalische Bildung.
- McCrae und Greenberg (2014) haben gezeigt, dass Musiker’innen, die als genial angesehen werden, ein hohes Maß an Offenheit zeigen, wie der Jazz-Virtuose John Coltrane.
- Gewissenhaftigkeit
- Das Erlernen eines Musikinstruments erfordert regelmäßiges Üben. Dadurch lernen Schüler’innen Selbstdisziplin, Ausdauer und Engagement, was ihre Gewissenhaftigkeit fördert.
- Der Grad der Gewissenhaftigkeit kann bei Musiker’innen je nach Musikrichtung variieren.
- Studien deuten auf ein niedriges Niveau bei Rockmusiker’innen hin. Klassische Instrumentalist’innen erreichen ein höheres Niveau (Gillespie & Myors, 2000).
- Extraversion
- Extravertierte Musiker’innen, vor allem Sänger’innen (Sandgren, 2019), genießen die sozialen Interaktionen und die Energie von Live-Auftritten.
- Nach Kemp (1996) sind klassische Instrumental-Musiker’innen eher introvertiert als extrovertiert, da sie es vorziehen, allein zu arbeiten.
- Verträglichkeit
- In einer Stichprobe von 7- bis 9-Jährigen haben Corrigall und Schellenberg (2015) beobachtet, dass neben der Offenheit der Eltern vor allem die Verträglichkeit die Dauer der Teilnahme am Musikunterricht vorhersagt.
- Studien-Ergebnisse zeigen, dass Pop-Musiker’innen höhere Werte bei Verträglichkeit erzielen, während Rock-Musiker’innen sich häufig distanziert und aufsässig verhalten (Sandgren, 2019).
- Neurotizismus
- Musiker’innen mit hohen Neurotizismus-Werten können in ihrer Musik ein emotionales Ventil finden und sie als Mittel zum Ausdruck und zur Verarbeitung komplexer Gefühle nutzen.
- In einer Reihe von Studien wurde bei studierenden und professionellen Sänger’innen ein erhöhtes Maß an Neurotizismus gefunden (Sandgren, 2019).
Die Wechselwirkungen zwischen Musik und Persönlichkeit sind vielfältig. Bei professionellen Musiker’innen prägt die Persönlichkeit künstlerische Entscheidungen. Weiterhin bieten individuelle Musikvorlieben einen nuancierten Einblick in Persönlichkeitsmuster, wobei das Big-Five-Merkmal Offenheit insbesondere die Genrevielfalt beeinflusst. Erfahren Sie in einem weiteren Artikel, wie Musik Gänsehaut verursacht und tiefe Emotionen in uns weckt.
Quellen zu Musik und Persönlichkeit
- Corrigall, K. A., Schellenberg, E. G. & Misura, N. M. (2013). Music training, cognition, and personality. Frontiers in psychology, 4, 222. https://doi.org/10.3389/fpsyg.2013.00222
- Corrigall, K. A., & Schellenberg, G. (2015). Predicting who takes music lessons: Parent and child characteristics. Frontiers in Psychology, 6, Article 282. https://doi.org/10.3389/fpsyg.2015.00282
- Sandgren, M. (2019). Exploring personality and musical self-perceptions among vocalists and instrumentalists at music colleges. Psychology of Music, 47(4), 465–482. https://doi.org/10.1177/0305735618761572