Unser Musikgeschmack ist ein komplexer und vielschichtiger Aspekt des menschlichen Verhaltens. Von den Ohrwürmern der Kindheit bis zu den Lieblingsliedern im Erwachsenen-Alter durchläuft unser Musikgeschmack eine faszinierende Entwicklung. Warum mögen wir bestimmte Musikstücke oder -genres lieber als andere? Dieser Artikel befasst sich mit den vielfältigen Faktoren, die unsere musikalischen Vorlieben prägen und bietet Einblicke in das komplizierte Geflecht aus biologischen, psychologischen, sozialen und kulturellen Einflüssen. 

Modelle und Theorien zum Musikgeschmack

Die musikpsychologische Forschung hat sich intensiv mit der Messung von Musikpräferenzen beschäftigt und verschiedene theoretische Modelle dazu entwickelt. Modelle helfen, Musikgeschmack zu verstehen, werden der Realität aber nie ganz gerecht. Folgende Modelle beleuchten die Entstehung und Entwicklung unseres Musikgeschmacks aus verschiedenen Perspektiven:

Bereits Kinder haben einen Musikgeschmack und hören sich Musik auf einem Kassettenrecorder an.

Bereits Kinder haben einen individuellen Musikgeschmack Foto: Victoria Glitter (Pixabay)

Erregungs-Kontrast-Theorie nach Berlyne (1974)

Daniel Berlyne schlug die Erregungs-Kontrast-Theorie vor. Dabei handelt es sich um einen psychobiologischen Ansatz zum Verständnis ästhetischer Vorlieben allgemein. Die Theorie besagt, dass Menschen von Reizen angezogen werden, die ein mittleres Maß an Erregung erzeugen — also nicht zu langweilig und nicht zu überwältigend sind. So mögen wir Musik am wahrscheinlichsten, wenn sie recht vertraut ist, aber genügend Überraschungen bereithält, wie in der Grafik dargestellt:

Bei mittlerem Erregungspotential herrscht eine hohe ästhetische Präferenz.

Der Musikgeschmack als ästhetische Präferenz hat den Höhepunkt bei einem mittleren Erregungspotential Grafik: Melissa Steinbarth

Musikgeschmacks-Modell nach Hargreaves et al. (2005)

Im Mittelpunkt des Modells nach Hargreaves et al. (2005) stehen die Reaktionen der Menschen auf Musik. Neben kognitiven und emotionalen Effekten ist auch die Musikpräferenz eine individuelle Reaktion, die durch drei Hauptfaktoren beeinflusst wird:

  1. Die Art der Musik (Genre, musikalische Eigenschaften, Instrumentierung)
  2. Der Hörkontext (Allein vs. in einer Gruppe)
  3. Die Hörer’innen (Geschlecht, Alter, musikalische Ausbildung etc.)

Ob uns ein Lied oder ein Musikgenre gefällt, hängt also von der Kombination und individuellen Ausprägung der drei Hauptfaktoren ab. Beispielsweise werden junge Hörer’innen durch die Art der gehörten Musik und den Hörkontext beeinflusst. Ein Teenager würde entsprechend eine andere musikalische Reaktion zeigen, wenn er seine bevorzugte Popmusik in einer Situation mit seinen Freund’innen hört, als in einer Situation mit seinen Eltern.

Fünf-Faktoren-Struktur nach Rentfrow et al. (2011)

Die Studie von Rentfrow et al. (2011) untersuchte eine breite Palette von Musikstilen und bewertete die Präferenzen für verschiedene Musikstücke. Die Ergebnisse dreier unabhängiger Studien deuten darauf hin, dass es eine Fünf-Faktoren-Struktur gibt, die den Musikpräferenzen zugrunde liegt:

  1. Mellow-Faktor: umfasst sanfte und entspannende Stile
  2. Urbaner Faktor: definiert durch rhythmische und perkussive Musik 
  3. Anspruchsvoller Faktor: umfasst klassische Musik, Opernmusik, World Music und Jazz
  4. Intensiver Faktor: definiert durch laute, kraftvolle und energiegeladene Musik
  5. Campestral-Faktor: umfasst eine Vielzahl verschiedener Stile direkter und bodenständiger Musik, wie sie häufig in Country- und Singer-Songwriter-Genres zu finden ist

Im Gegensatz zu Genre-Begriffen spiegeln die fünf Faktoren vor allem emotionale/affektive Aspekte wider. So umfasst jeder Faktor eine einzigartige Kombination aus musikalischen Attributen und Merkmalen, die sich voneinander unterscheiden: Zum Beispiel wird anspruchsvolle Musik (Faktor 3) als nachdenklich, kompliziert und inspirierend empfunden, während sanfte Musik (Faktor 1) als klar, ruhig und unkompliziert wahrgenommen wird. Weitere Ergebnisse der Studie deuten darauf hin, dass die Präferenzen für die fünf Faktoren sowohl von sozialen als auch von musikalischen Eigenschaften beeinflusst werden.

Wie entwickelt sich unser Musikgeschmack?

Das Hören von Musik ist in unserer modernen Welt zu einem allgegenwärtigen Phänomen geworden, so Schäfer und Sedlmeier (2010). Bei der Frage, welche Faktoren den Musikgeschmack im Laufe des Lebens beeinflussen, ziehen die Forscher direkte Parallelen zur allgemeinen Musiknutzung im Alltag. Sie fassen folgende Effekte auf die Musikpräferenz aus verschiedenen Studien zusammen: 

(1) Musikgeschmack und Physiologie

Musik kann einen großen Einfluss auf die physiologische Erregung haben. Gänsehaut, Nervenkitzel oder starke emotionale Erlebnisse im Zusammenhang mit Musik werden als sehr angenehme Wirkungen empfunden und stehen in engem Zusammenhang mit physiologischen Veränderungen im Körper.

(2) Emotionale Verbindung

Menschen entwickeln oft eine Vorliebe für Musik, die mit ihren Gefühlen oder Erfahrungen in Verbindung steht. Ein bestimmtes Genre oder Lied kann mit bestimmten Erinnerungen, Gefühlen oder Lebensereignissen verbunden sein. Musik wird auch dann gerne gehört, wenn sie in der Lage ist, Emotionen auszudrücken und hervorzurufen oder die eigene Stimmung zu regulieren.

(3) Vertrautheit und Wiederholung

Es ist bekannt, dass die Vorliebe für bestimmte Arten von Musik mit wiederholtem Hören oder mit zunehmender Vertrautheit wächst. Leider heißt das nicht, dass sie jeden Ohrwurm lieben lernen.

(4) Soziale und kulturelle Faktoren

Die Musik, mit der man in seiner Kindheit konfrontiert wird, insbesondere innerhalb der Familie, kann musikalische Vorlieben stark beeinflussen. Auch Gleichaltrige üben einen starken Einfluss auf den Musikgeschmack aus, vor allem in der Pubertät. Soziale Gruppen haben oft einen ähnlichen Musikgeschmack und Individuen übernehmen die musikalischen Vorlieben ihrer sozialen Umgebung, um sich zugehörig zu fühlen.

Eine junge Frau schaut sich eine Vinyl im Plattenladen an.

Unser Musikgeschmack ist sehr individuell und ändert sich ständig Foto: cottonbro studio (Pexels)

(5) Eigenschaften der Hörer’innen

Einen zentralen Einfluss auf die Entwicklung des Musikgeschmacks haben die individuellen Eigenschaften der Hörer’innen, die sich grob in drei Kategorien einteilen lassen:

  • Persönlichkeitsmerkmale: Einige Studien deuten auf einen Zusammenhang zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und Musikvorlieben hin. So neigen Personen mit einer größeren Offenheit für Erfahrungen eher dazu, eine Vielzahl von Musikrichtungen zu erkunden und zu schätzen.
  • Identität: Menschen tendieren zu Musik, die mit ihrem Selbstbild oder ihrer Identität übereinstimmt. Jemand, der sich beispielsweise stark mit einer bestimmten Subkultur identifiziert, bevorzugt entsprechende Musik.
  • Alter und Lebensabschnitte: Musikalische Vorlieben können sich im Laufe der Zeit ändern, oft in Verbindung mit Lebensabschnitten und Entwicklungsstufen. Was bei einer Person im Jugendalter Anklang findet, kann sich von dem unterscheiden, was sie im Erwachsenen-Alter schätzt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Musikgeschmack ein dynamischer Aspekt des menschlichen Verhaltens ist, der durch eine Kombination biologischer, psychologischer, sozialer und kultureller Faktoren beeinflusst wird. Das Zusammenspiel dieser Faktoren führt bei jedem Menschen zu einem einzigartigen und individuellen Musikgeschmack. 

Wenn Ihr Musikgeschmack von lauter, kraftvoller und energiegeladener Musik geprägt ist, finden Sie in diesem Artikel einen Überblick über die Geschichte des Heavy Metal inklusive musikwissenschaftlicher Hintergründe.

Quellen zum Musikgeschmack

  • Finnäs, L. (1989). A comparison between young people’s privately and publicly expressed musical preferences. Psychology of Music, 17(2), 132–145. https://doi.org/10.1177/0305735689172004
  • Rentfrow, P. J., Goldberg, L. R., & Levitin, D. J. (2011). The structure of musical preferences: A five-factor model. Journal of Personality and Social Psychology, 100(6), 1139–1157. https://doi.org/10.1037/a0022406
  • Schäfer, T., & Sedlmeier, P. (2010). What makes us like music? Determinants of music preference. Psychology of Aesthetics, Creativity, and the Arts, 4(4), 223–234. https://doi.org/10.1037/a0018374